Erntedank feiert Uraufführung

Auf dem Spielplan des Hamburger Ohnsorg Theaters steht mit der jüngsten Uraufführungs-Premiere eine ebenso spannende wie humorvolle Geschichte, die in überraschenden Wendungen zu einem lange zurückliegenden dunklen Geheimnis führt.

„Stark“ findet die Morgenpost die Uraufführung am 17. April 2016, und als „stimmiges Ganzes“ lobte das NDR Abendjournal die Inszenierung, die Publikumsstimmen sind begeistert: „hinreißend gespielt“, „spannend bis zum Schluss“, „eine tolle Inszenierung“, „das muss man sich ansehen“. Auch bei den Zeitungsrezensenten fanden Darsteller, Stück und Inszenierung großen Anklang: „Es ist ein gelungenes, warmherzig witziges Dokument über Altherren-Freundschaften, das Regisseur Frank Grupe liebevoll in Szene gesetzt hat“, lobte die „Welt“ nach der begeistert beklatschten Premiere. Und auch das „Hamburger Abendblatt“ spart nicht mit Lob für den „ernsthaften und sehenswerten Abend“. Insbesondere die Darsteller hinterließen einen tiefen Eindruck: Mogens von Gadow in der Rolle des demenzkranken Otto begeisterte und berührte als „verwunderter alter Mann, der wie aus einer anderen Welt gefallen wirkt“, und Wilfried Dziallas ließ das Publikum mit der Schilderung von Kriegerlebnissen „in einen Abgrund blicken“. Ein Abend, „der wieder einmal zeigt, auf welch hohem Niveau im Ohnsorg-Theater gespielt wird.“

Der Autor Max von Berg schreibt über sein Schauspiel EErntedank (En leven Mann) im Programmheft des Ohnsorg-Theaters einen spannenden Artikel, den wir hier wiedergeben:

„Mein Vater war klug, belesen und hatte ein Gedächtnis wie ein Elefant. Gleichzeitig war er unsicher und entscheidungsschwach – und damit in meinen Augen ein Weichei.
Daher erinnere ich mich genau an das erste Mal, als er mich in Erstaunen versetzte: Ich war Dreizehn. Und total verblüfft, dass auf der Hochzeit eines Cousins die schönsten Damen im Saal MEINEN alten Herrn umschwärmten!
Drei, vier Jahre später war ich zum zweiten Mal ehrlich erstaunt – und das hat mich offen gestanden aus den Socken gehauen. Über seine lange Kriegsgefangenschaft wollte ich natürlich so viel wie möglich erfahren, Anekdote um Anekdote hab ich ihm aus der Nase gezogen. Und dann dieser alles entscheidenden Satz: „Es gab da einen Kapo, der war eigentlich Pastor. Wenn ich den heute träfe – den würde ich auf der Stelle totschlagen!“ Es waren nicht die Worte. Es war die Bestimmtheit in seiner Stimme. Und die Augen: Eisgrau und kalt. Zwei, drei Sekunden sah ich in ihnen die unerbittliche Entschlossenheit jenes Mannes, der er früher mal gewesen sein musste. Ich war wie vom Donner gerührt.
Zwölf Jahre später war ich fassungslos: Als mein Vater – der wackere Sozialdemokrat – am Vorabend meiner ersten Hochzeit lautstark über die „gottverfluchte Abartigkeit der Homosexuellen“ herzog! Da haben wir zum einzigen Mal im Leben verbal die Klingen gekreuzt... bis sie Funken schlugen. Meinem schwulen Freund Rainer hat mein Vater am Tag darauf das „Du“ angeboten. Und ich war sehr stolz auf ihn.
Dies ist der Mörtel für die erste der beiden Säulen, auf die sich das Theaterstück stützt. Ich habe „Zwei plus Drei“ zusammengezählt – und alles einigermaßen passend verfugt.
Und dann war da noch die Demenz meines Vaters: Es ist nicht einfach zehn Jahre lang zuzusehen, wie das Elefantengedächtnis und die Persönlichkeit eines Menschen zu Staub zerfallen. Eben noch wurdest du mit „Wer sind Sie eigentlich!?“ angeraunzt, nun umschmeichelt er dich mit „Du bist ein lieber Mann!“. Das ständige Hin und Her zwischen geballter Aggression und verzweifelter Hilflosigkeit ist nur mit einer gesunden Portion Humor zu ertragen.
Klar hat sich mein Vater auf den letzten Metern wieder und wieder das Image versaut. Doch das wollte ich so nicht stehenlassen. Das hat niemand verdient.
Und so entstand diese Geschichte eines Mordes, der so nie geschah. Als Denkmal für einen Mann, der es im Leben und mit mir nicht leicht gehabt hat.“

„En leven Mann“ ist noch bis zum 28. Mai im Ohnsorg-Theater zu sehen.

– 16.04.2016